Rechtsquellen des Europarechts




Primäres Recht

Das Primärrecht bildet die Grundlage der Europäischen Union und ihres Handelns. Zum primären Recht gehören die Gründungsverträge samt allen Änderungen und Ergänzungen, die gemacht wurden. Als Gründungsverträge kommen der Vertrag über die Europäische Union sowie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft in Betracht. Außerdem werden die Gesetzesänderungen im Primärrecht immer nach dem jeweiligen Ort benannt, wo sie beschlossen wurden. So sind jetzt die Gründungsverträge in der Fassung des Vertrages von Lissabon vom 13.12.2007. Davor gab es Fassungen des Vertrages von Maastricht, Amsterdam und Nizza. Bei jedem neuen Vertrag wurden grundlegende Änderungen durchgeführt, weshalb diese sehr oft in der Literatur genannt werden. Ebenso gehören zum primären Recht sogenannte Allgemeine Rechtsgrundsätze. Diese sind in keinem Vertrag festgeschrieben, sondern in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) entwickelt worden.

Im Primärrecht sind die wichtigsten Regelungen der Europäischen Union geregelt: die politischen Grundlagen und Ziele der EU, die zentralen Institutionen und Organe, die Kompetenzen der Europäischen Union, die Verfahren zur Gesetzgebung, Entscheidungsfindung und Änderung des Primärrechts, Grundfreiheiten und Grundrechte.

Sekundäres Recht

Unter sekundäres Recht werden jene Rechtsnormen verstanden, die auf Basis des primären Rechts erlassen werden. Der Rat, die Kommission, das Europäische Parlament erlassen Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen. Des Weiteren sprechen sie Empfehlungen aus und geben Stellungnahmen ab. Dem Gemeinschaftsgesetzgeber steht es in der Regel frei, ob er Richtlinien oder Verordnungen erlässt. Er muss jedoch eine möglichst einfache Form wählen und in der Regel wird eine Richtlinie einer Verordnung vorgezogen. Zu beachten ist, dass eine Verordnung unmittelbar und direkt gilt. Sie regelt eine Vielzahl von Sachverhalten und ist in allen Teilen verbindlich. Eine Verordnung ist unmittelbar in den Mitgliedsstaaten anwendbar ohne, dass sie gesondert vom Staat in ein Gesetz umgeändert werden muss. Die staatlichen Gesetzgeber werden in keiner Weise mehr beteiligt, sondern es hat direkte Geltung im Rechtssystem von jedem Mitgliedsstaat.

Eine Richtlinie wiederum wird von der Europäischen Union erlassen, muss jedoch von jedem Mitgliedsstaat durch deren Gesetzgebung in das innerstaatliche Recht umgesetzt werden. Sie wird nicht, wie die Verordnung automatisch für das österreichische Recht geltend, sondern muss erst vom österreichischen Gesetzgeber beschlossen werden. Dabei wird in der jeweiligen Richtlinie eine Frist angegeben, in dem der jeweilige Mitgliedsstaat die Richtlinie ins nationale Recht umsetzen muss. Den Mitgliedsstaaten bleibt überlassen in welche Art sie die Richtlinie in ihre Rechtsordnung übernehmen und welchen innerstaatlichen Gesetzgebungsmechanismus sie auswählen und sich bedienen. In Österreich wird in der Regel ein Gesetz oder Rechtsverordnung erlassen. Wird eine Richtlinie nicht fristgerecht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt, kann es unter Umständen sein, dass die Richtlinie oder Teile davon direkt anwendbar sind. Dazu muss der Text der Richtlinie genau, präzise und so konkret sein, sodass eine unmittelbare Anwendbarkeit im Einzelfall möglich ist. Des Weiteren, darf sie keine Verpflichtungen oder Belastungen eines Einzelnen beinhalten, wie zum Beispiel eine Verpflichtung eines Staatsbürgers gegenüber den Behörden des Mitgliedsstaates. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes können nämlich Richtlinien keine unmittelbaren Verpflichtungen für Einzelne begründen.

Einzelne können sich bei einem Rechtsproblem gegenüber den Staat auf die für ihn begünstigende Regelung berufen, der Mitgliedsstaat kann sich mit einem seiner Bürger nicht auf die ihn begünstigende Regelung berufen. Dies wäre widersprüchlich, wenn sich der Mitgliedsstaat auf etwas beruft, dessen Verpflichtung die Richtlinie ordnungs- und fristgerecht in das jeweilige Rechtssystem zu transformieren nicht nachgekommen ist. Eine unmittelbare Anwendbarkeit einer Richtlinie zwischen zwei Privaten ist nicht möglich. Wenn ein Einzelner einen Schaden erleidet, weil die Richtlinie nicht genau oder nicht innerhalb der Frist umgesetzt wurde, kann er Schadenersatz vom jeweiligen Mitgliedsstaat verlangen. Dies gegenüber dem Staat, wenn die Richtlinie nicht direkt anwendbar ist, oder wenn ein Einzelner einen Schaden erleidet bei einem Rechtsstreit mit einem anderen Privaten.

Weiters kann die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den jeweiligen Mitgliedsstaat einleiten, wenn eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß oder nicht umgesetzt wird. Eine Entscheidung regelt einen Einzelfall und kann an einen Mitgliedsstaat oder auch an eine Einzelperson gerichtet sein. Empfehlungen und Stellungnahmen können von allen europäischen Organen gemacht werden und sind nicht rechtsverbindlich. Hauptsächlich werden sie von der Europäischen Kommission und dem Rat der Europäischen Union erlassen, wie zum Beispiel eine Harmonisierung der Gesundheitspolitik aller Mitgliedsstaaten oder eine Empfehlung an einen Mitgliedstaat sein übermäßig verschuldetes Haushaltsdefizit wieder in Ordnung zu bringen.

Rechtssetzung in der Europäischen Union

Die Gesetzgebung in der EU erfolgt in aller Regel durch den Rat der Europäischen Union auf Vorschlag der Kommission. Der Vertrag von Lissabon versuchte die Gesetzgebung übersichtlicher zu gestalten. Dennoch sind vier unterschiedliche Mechanismen möglich, und zwar Rat auf Vorschlag der Kommission (ohne Beteiligung des Parlament), Rat nach Anhörung des Parlament bzw.ordentliche Gesetzgebungsverfahren oder Rat mit Zustimmung des Parlaments. Welches Verfahren auf welchen Fall anzuwenden ist, wird in den Verträgen, meist im Vertrag über die Funktionsweise der Europäischen Union, geregelt. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren wird jedoch auf die meisten EU Bereiche ausgeweitet, sodass 95 % der Gesetze durch diesen Weg zu Stande kommen.

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