Merkmale und Ablauf des Beweisverfahrens




Eingangs muss erwähnt werden, dass die allgemeine Regel des Beweisverfahrens aus der freien Beweiswürdigung, dem Beweismaß, der Behauptungslast und Beweislast, dem Beweisgegenstand, der Beweisrichtung sowie aus den Beweisverboten und der Beweisbedürftigkeit besteht. Unter freie Beweiswürdigung ist zu verstehen, dass das Gericht unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse der gesamten Verhandlung und Beweisführung nach freier Überzeugung zu beurteilen hat, ob eine tatsächliche Angabe für wahr zu halten ist oder nicht. Nach der Beweisaufnahme muss der Richter die Beweise würdigen, was wiederum bedeutet, dass er sich darüber klar werden muss, ob es die Beweisergebnisse rechtfertigen, dass er die zu beweisende Tatsache für wahr hält. Daraus kann somit entnommen werden, dass der Richter die Beweisergebnisse nach freier Überzeugung zu werten hat. Der Richter muss die Prüfung der Beweisergebnisse jedoch nach bestem Wissen und Gewissen sowie aufgrund seiner Lebenserfahrung und Menschenkenntnis vornehmen. Außerdem muss der Richter offenlegen, aufgrund welcher Erfahrungssätze er zur Auffassung gelangt ist, die festgestellten Tatsachen seien für wahr zu halten.

Es ist ebenso erwähnenswert, dass das Ermessen von der freien Beweiswürdigung zu unterscheiden ist. Denn das Ermessen räumt dem Richter einen Entschließungsspielraum ein, einen Rechtsakt vorzunehmen oder zu unterlassen bzw. zwischen mehreren Rechtsakten zu wählen. Der Ermessensspielraum ist jedoch immer beschränkt. Wenn dem Richter aber ein freies Ermessen eingeräumt wird, ist er bei dessen Anwendung immer an die allgemeinen Wertungen des Gesetzes gebunden. Zudem muss beachtet werden, dass Ermessensfehler in einer Ermessensüberschreitung liegen können, bei der der gesetzliche Ermessensrahmen verletzt wird oder eine Ermessensanmaßung vorliegt. Wenn jedoch die gesetzlichen Wertmaßstäbe außer Acht gelassen werden, bedeutet dies ein Ermessensmissbrauch. Das Beweismaß wiederum ist der vom Richter geforderte Überzeugungsgrad bei der Beweiswürdigung. Zudem ist die Überzeugungsbildung des Richters der eigentliche Zweck des Beweisverfahrens.

In diesem Zusammenhang sind auch die Behauptungslast und die Beweislast zu berücksichtigen. Die Behauptungslast legt fest, dass die Tatsachen, die für die Anwendung einer bestimmten Rechtsnorm erforderlich sind, durch Parteienbehauptungen oder von Amts wegen in den Prozess eingeführt werden müssen. Im Regelverfahren, also wenn kein reiner Untersuchungsgrundsatz gilt, ist der Kläger verpflichtet die anspruchsbegründenden Tatsachen zu begründen, während der Beklagte wiederum verpflichtet ist, die Einwendungstatsachen zu behaupten. Bei der Beweislast muss auch die Beweislosigkeit beachtet werden. Wenn das Beweisverfahren nicht zur Überzeugung des Richters führt, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen für wahr zu halten sind, bleibt somit der Sachverhalt unklar, aber es muss trotzdem eine Entscheidung gefällt werden. Denn die Beweislosigkeit darf nämlich nicht zur Entscheidungslosigkeit führen.

Es ist ebenso erwähnenswert, dass der Richter grundsätzlich schon vor der Beweisaufnahme prüfen muss, welche Partei für einen Prozesssieg welche Tatsachenfeststellungen bracht, damit er sie zur Bezeichnung und Ergänzung der erforderlichen Beweismittel anleiten kann. Es muss beachtet werden, dass jede Partei die Beweislast für das Vorliegen aller tatsächlichen Voraussetzungen der für sie günstigen Rechtsnorm trägt.

Auch der Beweisgegenstand muss berücksichtigt werden, denn in erster Linie sind Tatsachen Beweisgegenstand. Als Tatsachen können konkrete nach Zeit und Raum bestimmte Ereignisse und Zustände der Außenwelt oder des menschlichen Seelenlebens betrachtet werden. Außerdem muss zwischen äußere Tatsachen und innere Tatsachen unterschieden werden. Äußere Tatsachen sind unter anderem beispielsweise etwa Bestand und Beschaffenheit von Sachen oder Existenz und Merkmale von Menschen. Als innere Tatsachen kommen etwa Gemütsbewegungen sowie Kenntnisse und Absichten in Betracht.

Bei der Beweisrichtung müssen Hauptbeweis, Gegenbeweis sowie Beweis des Gegenteils und mittelbare Beweise beachtet werden. Der Hauptbeweis kann auch als Erstbeweis bezeichnet werden und wird von der beweisbelasteten Partei zum Nachweis tatbestandsrelevanter Tatsachen geführt. Der Hauptbeweis ist dann erbracht, wenn der Richter davon überzeugt ist, dass die behaupteten Tatsachen für wahr zu halten sind. Der Gegenbeweis wird wiederum vom Gegner der beweisbelasteten Partei zur Widerlegung von deren Tatsachenbehauptungen geführt. Außerdem muss der Gegenbeweis nicht das Nichtbestehen der Tatsachenbehauptungen beweisen, sondern kann auch die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der Beweismittel der beweisbelasteten Partei angreifen. Der Gegenbeweis ist dann gelungen, wenn der Richter nicht mehr davon überzeugt ist, dass die Tatsachenbehauptungen der beweisbelasteten Partei für wahr zu halten sind. Beim Beweis des Gegenteils handelt es sich wiederum um einen Hauptbeweis, der vom Gegner einer Partei geführt werden muss, die eine gesetzliche Vermutung für sich hat. Mit dem Beweis des Gegenteils muss der Gegner den Richter überzeugen, dass die vermutete Tatsache oder der vermutete Rechtszustand nicht besteht.

Es ist auch erwähnenswert, dass jede Beweisführung einer beweisbelasteten Partei grundsätzlich auf tatbestandsrelevante Tatsachen zielen muss. Es kann in einigen Fällen jedoch vorkommen, dass solche Tatsachen nicht unmittelbar und direkt bewiesen werden können, weshalb sodann mit Hilfe von Erfahrungssätzen auf sie geschlossen werden muss. Dies wird als mittelbarer Beweis bzw. als indirekter Beweis bezeichnet. Es ist erwähnenswert, dass sich vor allem innere Tatsachen hauptsächlich mittelbar beweisen lassen.

Zu den mittelbaren bzw. indirekten Beweisen zählen der Indizienbeweis und der Anscheinsbeweis. Beim Indizienbeweis wird von einer bewiesenen tatbestandsfremden Tatsache auf eine andere tatbestandsrelevante Tatsache geschlossen, die direkt nicht beweisbar ist. Als Beispiel dafür wäre etwa zu nennen, dass Herr Bauer denn Herrn Mayer auf Kaufpreiszahlung für ein Fahrrad klagt. Das Fahrrad hat Herr Bauer den Herrn Mayer jedoch aufgrund eines mündlichen Kaufvertrages übergeben. Herr Mayer wendet aber ein, das Fahrrad nur geliehen zu haben. Hierbei wären die Indizienbeweise beispielsweise etwa, dass Herr Bauer vier Tage nach Übergabe ein neues Fahrrad gekauft hat oder dass Herr Mayer eine neue Glocke am übergebenen Fahrrad montiert hat oder dass Herr Mayer das Fahrrad täglich benützt. Beim Anscheinsbeweis werden Erfahrungssätze noch stärker als beim Indizienbeweis herangezogen, um auf wesentliche tatbestandsrelevante Tatsachen zu schließen, die direkt nicht erwiesen werden können. Der Unterschied des Anscheinsbeweises zum Indizienbeweis liegt in der Art der angewendeten Erfahrungssätze. Beim Indizienbeweis verwendet der Richter in erster Linie seine persönliche Lebenserfahrung, während der Richter beim Anscheinsbeweis darüber hinaus auch Erfahrungsgrundsätze der Rechtsgemeinschaft verwendet.

Das Ziel des Anscheinsbeweises liegt in einer Beweiserleichterung für den Beweisbelasteten, weshalb seine Anwendung auch zur Beweismaßreduzierung führt. Als Beispiel für Anscheinsbeweis läge etwa dann vor, wenn Herr Mayer bei einem Unfall verletzt wird. Herr Bauer war der Lenker des Unfallautos. Jetzt fordert Herr Mayer Schadenersatz. Dennoch lassen die äußeren Umstände, wie Straßensituation, keine Ursache für den Unfall vermuten, wobei ebenfalls keine Tatsache vorliegt, die für das Verschulden des Herrn Bauers spricht. Da jedoch keine andere Ursache gefunden werden kann, spricht die Lebenserfahrung für ein schuldhaftes Verhalten des Herrn Bauer. Ein nachträglich festgestellter Reifenplatzer könnte jedoch als Gegenbeweis zu diesem Anscheinsbeweis verwendet werden.

Unter Beweisverbote wiederum fallen Beweisthemenverbote, Beweismittelverbote und Beweismethodenverbote sowie Beweisverwertungsverbote und Beweisaufnahmeverbote. Beweisthemenverbote verbieten dem Gericht über bestimmte Tatsachen Beweise aufzunehmen. Beweismittelverbote wiederum verbieten dem Gericht entweder generell oder nur hinsichtlich bestimmter Tatsachen die Benützung bestimmter Beweismittel. Beweismethodenverbote verbieten ein bestimmtes Vorgehen bei der Aufnahme eines an sich zulässigen Beweismittels, wie etwa die rechtswidrige Beweiserlangung durch das Gericht. Beweisverwertungsverbote sollen wiederum verhindern, dass der Beweis, der dem Beweisverbot zuwider aufgenommen wurde, dem Urteil zugrunde gelegt wird. Auch die Beweisbedürftigkeit muss berücksichtigt werden. Beweisbedürftig sind Tatsachen, die für die Entscheidung erheblich sind, sofern sie nicht beweisbefreit sind. Es muss beachtet werden, dass zugestandene Tatsachen sowie offenkundige Tatsachen und gesetzlich vermutete Tatsachen wiederum keinen Beweis bedürfen. Offenkundig ist jedenfalls eine Tatsache, wenn sie allgemeinkundig oder gerichtskundig ist.

Das Beweisverfahren ist notwendig, weil die Ermittlung der für die Entscheidung in der Hauptsache notwendigen Tatsachen im streitigen Verfahren nur in Form des Beweisverfahrens erfolgen kann. Das Gericht muss sich bei den Erhebungen an die Regeln über die Beweisaufnahme zu halten, sofern nicht Sondervorschriften bestehen. Außerdem werden die Beweise in Verfahren mit reinem Untersuchungsgrundsatz von Amts wegen aufgenommen, wenn Tatsachen im Wege von Erhebungen von Amts wegen zu ermitteln sind sowie zur Feststellung aller Tatsachen, die dem Richter entscheidungserheblich erscheinen. Es ist erwähnenswert, dass der Beweisantrag zurückzuweisen ist, wenn der angebotene Beweis dem Gericht unerheblich erscheint bzw. wenn er nur in der Absicht angeboten wurden, den Prozess zu verschleppen, wenn er befristet wurde und diese Frist abgelaufen ist und die Beweisaufnahme jedoch jetzt eine Verfahrensverzögerung mit sich bringen würde sowie wenn er nicht notwendig ist, weil das Gericht bereits überzeugt ist oder wenn die Tatsache nicht beweisbedürftig ist bzw. wenn ausnahmsweise ein Beweisaufnahmeverbot besteht.

Auch die Grundsätze der Beweisaufnahme müssen beachtet werden, und zwar der Unmittelbarkeitsgrundsatz sowie der Konzentrationsgrundsatz und der Grundsatz der Amtswegigkeit. Es muss beachtet werden, dass die Beweisaufnahme die Hauptaufgabe der mündlichen Streitverhandlung darstellt. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz legt fest, dass die Beweisaufnahme unmittelbar zu erfolgen hat. Unter bestimmten Voraussetzungen kann jedoch von einer unmittelbaren Beweisaufnahme Abstand genommen werden, wenn keine der Parteien das Gegenteil beantragt oder wenn das Beweismittel nicht mehr zur Verfügung steht. Es muss berücksichtigt werden, dass die Verwendung der Beweismittel aus einem anderen Verfahren unzulässig bleibt, wenn die unmittelbare Beweisaufnahme wegen der größeren Sachnähe einen höheren Beweiswert verspricht.

Bezüglich des Konzentrationsgrundsatzes muss beachtet werden, dass die Konzentration des Verfahrens auch der Rechtsmittelbeschränkungen im Beweisaufnahmeverfahren dienen. Aufgrund des Konzentrationsgrundsatzes können Beweisanbote und neue Tatsachenbehauptungen vom Gericht wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen bzw. für unstatthaft erklärt werden; außerdem können auch Beweisaufnahmen befristet werden, wenn sie das Verfahren voraussichtlich verzögern würden. Der Grundsatz der Amtswegigkeit legt fest, dass das Gericht die Beweisaufnahme von Amts wegen und auch dann durchzuführen hat, wenn die Parteien nicht anwesend sind. Dennoch sind die Parteien immer zu laden und haben ebenso verschiedene Mitwirkungsrechte sowie ein Fragerecht gegenüber dem Gegner, Zeugen und Sachverständigen.

Es ist ebenso erwähnenswert, dass der Beweisbeschluss anhand des Beweisantrittes des Partei oder anhand der Beweise, die dem Gericht von Amts wegen als notwendig erscheinen, ordnet der Beweisbeschluss die Beweisaufnahme an. Der Beweisbeschluss hat als Grundlage der Beweisaufnahme sowohl das Beweisthema als auch die Beweismittel zu bezeichnen. Daher muss das Gericht zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit als auch die Beweisbedürftigkeit der Tatsachenbehauptungen der Parteien prüfen. Außerdem kann der Beweisbeschluss bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung jederzeit ergänzt oder abgeändert werden. Nach der Durchführung der Beweisaufnahme kommt es sodann zur Beweiserörterung, also zur Erörterung der Ergebnisse der Beweisaufnahmen. Im Rahmen des Beweisverfahrens sind auch die Beweismittel zu berücksichtigen, wie etwa Urkunden, Zeugen, Sachverständige sowie Augenschein und Vernehmung der Parteien.

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